Auch SPD Neu-Westend will Thilo Sarrazin aus der SPD ausschließen

Die SPD Neu-Westend sieht genauso wie die SPD Charlottenburg-Wilmersdorf, die SPD Berlin und der Parteivorstand der SPD in dem am 30.08.2010 öffentlich vorgestellten Buch „Deutschland schafft sich ab“ sowie in den die Buchveröffentlichung begleitenden Interviews und Berichten von Dr. Thilo Sarrazin einen erheblich Verstoß gegen die Grundsätze der SPD. Diese sind in unserem Grundsatzprogramm, dem Hamburger Programm, klar definiert:

Wir widersetzen uns jeder Form der Diskriminierung. Die Würde des Menschen ist unabhängig von seiner Leistung und seiner wirtschaftlichen Nützlichkeit.” (Hamburger Programm, Kapitel: Unser Bild vom Menschen)

und weiter: “Wir wenden uns gegen jede Form von Privilegien oder Benachteiligungen aufgrund der Herkunft, des Standes, der Hautfarbe, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Religion.” (Hamburger Programm, Kapitel: Unsere Grundwerte)

Gegen diese unteilbaren Werte der SPD verstößt Dr. Thilo Sarrazin besonders durch:

  • die grundsätzliche Diffamierung des Islam als einer Religion, die ihre Anhänger zu nutzlosen Mitgliedern der Gesellschaft macht,
  • die Feststellung, dass eine Erhöhung der Durchlässigkeit des Bildungssystems und der Gesellschaft nutzlos bzw. sogar schädlich sei,
  • die Einteilung der Wertigkeit von Menschen gemäß ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit und damit verbundene Vorschläge zur schichten- und ethnienspezifischen Geburtensteuerung.

Der Vorsitzende der SPD Neu-Westend, Robert Drewnicki, stellt im Zusammenhang mit dem Beschluss fest: “Hier geht es nicht darum, einem innerparteilichen Kritiker die freie Meinungsäußerung zu versagen. Es geht darum, dass Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nur auf der Grundlage der gemeinsamen Grundwerte Politik solidarisch diskutieren und gestalten können. Thilo Sarrazin hat sich mit seinem Buch und seinen Aussagen klar außerhalb dieser sozialdemokratischen Wertegemeinschaft gestellt.”

Das Ausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin ist keine Absage an eine intensive Debatte über Integrationspolitik in unserem Land. Im Gegenteil: Die SPD hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit integrationspolitischen Fragen beschäftigt. Dazu gehören gerade hier in Berlin viele Maßnahmen, die u. a. den Spracherwerb fördern und mehr Chancengleichheit ermöglichen sollen. Integration bedeutet für uns Sozialdemokraten auch, dass Kinder in Berlin jetzt zwei und ab 2011 drei Jahre unentgeltlich die Kita besuchen können. Die Schulstrukturreform mit der Abschaffung der Hauptschule ist hier ebenfalls ein wichtiger Baustein. Spracherwerbskurse, Stadteilmütter und vieles mehr zeigen, dass sich die SPD darum bemüht, allen Menschen eine Chance zu geben.

Natürlich liegt noch vieles im Argen. Eine kritische Debatte über den Stand der Integration, über erreichte Fortschritte, aber ebenso auch über fortbestehende Probleme und Defizite, ist dringend geboten und erforderlich. Dem stellen wir uns auch weiterhin.

So wichtig eine kritische Bestandsaufnahme der Integration in Deutschland aber auch ist: Sie muss in der Sache richtig und im Ton sachlich sein. Pauschalisierungen und Polemisierungen führen nicht weiter. Sie spalten, grenzen aus und erschweren so einen offenen, kritischen Dialog über bestehende Probleme und notwendige Lösungen. Wenn Thilo Sarrazin Zuwanderung mit „Landnahme“ in Verbindung bringt, vor einer „Übernahme“ von Staat und Gesellschaft durch Migranten warnt und muslimischen Migranten einen „wirtschaftlichen Mehrwert“ abspricht, dann schürt er Ängste und Vorurteile und vergreift sich klar im Ton. Für die Sozialdemokratie gilt aber, Ton und Haltung sind keine Nebensache, wenn es um Integration geht. Wer Probleme in unserem Land nicht verschärfen, sondern lösen will, der darf keine Vorurteile schüren.

Damit nicht genug: Thilo Sarrazin schreibt darüber hinaus in seinem Buch, dass Intelligenz und ebenso mangelnde Intelligenz wesentlich vererbt seien. Seine Schlussfolgerung hieraus: Deutschland werde im Durchschnitt dümmer, da vor allem die bildungsfernen Bevölkerungsgruppen in unserem Land Kinder bekämen. Als Lösung schlägt er dann unter anderem vor: Eine Prämie von 50 000 Euro für junge Akademikerinnen, die ein Kind bekommen. Eine solche Einteilung von Menschen nach ihrer Nützlichkeit widerspricht unserer sozialdemokratischen Grundüberzeugung, dass alle Menschen gleich viel wert sind.

Als Sozialdemokraten sagen wir klar: Das Leben ist offen. Die Entwicklung oder Charaktereigenschaften eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen sind nicht durch ein bestimmtes Erbgut vorgezeichnet. Es kommt vielmehr darauf an, durch Erziehung und durch gute Bildung die freien Entwicklungschancen eines jeden Menschen freizusetzen. Das ist die Grundüberzeugung unserer auf Emanzipation und Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität aufbauenden sozialdemokratischen Politik. Thilo Sarrazin hat diesen gemeinsamen Boden mit seinen jüngsten Äußerungen und Buchveröffentlichungen verlassen.

Mehr zum Beschluss der SPD Charlottenburg-Wilmersdorf und eine Sammlung mit Zitaten aus dem Buch von Thilo Sarrazin auf www.spd-citywest.de