Die SPD als Think-Tank

Auf dem Weg zu einem Masterplan gegen die bevorstehende Krise in Berlin

Die Europawahlen haben uns unlängst gezeigt, wie schwierig es gerade auch in Berlin ist, unsere Wählerklientel zu mobilisieren und Mehrheiten zu gewinnen. Wir schaffen es nicht, unsere Politik glaubhaft zu vermitteln und den Bürgerinnen und Bürgern deutlich zu machen, mit welchem nachhaltigen und sozialdemokratischen Konzept wir der Krise begegnen wollen.

Was also kann die Berliner SPD als Partei tun, um wieder Mehrheiten zu gewinnen?

Sie könnte einen Masterplan für sozialdemokratische Politik in der Krise entwickeln, nicht mehr und nicht weniger. Und sie muss dieses erkennbar sozialdemokratische Konzept den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln. Viel Zeit wird nicht bleiben.

Zurzeit befinden wir uns noch in einem merkwürdigen Stadium zwischen ehemaliger Spar- und Konsolidierungspolitik, ehemaliger Konjunktur, Konjunkturpaketen und bevorstehendem Sparzwang. Aber der Reihe nach.

Es ist gar nicht so lange her, da waren politische Entscheidungsspielräume mit Hinweis auf die klamme Kassenlage kaum vorhanden. Politik schien zu dieser Zeit nichts weiter als der verlängerte Arm fiskalischer Zwänge. Doch dann ließ für kurze Zeit selbst uns in Berlin die Konjunktur mit erhöhten Steuereinnahmen diese Zeit vergessen. Es durfte wieder strukturell gedacht werden. Die zusätzlichen Steuergelder konnten auch für politische Initiativen in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik und nicht nur Notwendigkeiten genutzt werden.

Jetzt ist wieder Krise. Auch wenn wir zurzeit im Zeichen des Konjunkturpaketes noch Gestaltungsspielräume zu haben scheinen und fortführen können, womit wir in Zeiten der echten Konjunktur begonnen haben.

Wir (sollten) wissen, die Steuereinnahmen fließen nicht mehr reichlich, Konjunkturpakete sind auch eines Tages verbaut und die Verschuldung des Landes Berlin wird neue schwindelerregende Höhen erreichen. In der Folge werden die wiederentdeckten und lieb gewonnenen politischen Gestaltungsspielräume schrumpfen. 100-Schulen-Programme, die Rückkehr der Lernmittelfreiheit, staatliche Arbeitsprogramme, kein Umzugszwang für ALG II-Empfänger, Etataufstockungen für Bezirkshaushalte u. v. m. –  alles dringende Probleme, deren Lösung in greifbarer Nähe schien. Diese und viele andere politische Initiativen des rot-roten Senats werden schnell auf dem Prüfstand stehen. Und die Prüfung wird – kaufmännisch betrachtet – kurz ausfallen. Ergebnis: kein Geld.

Sparen, bis es kracht darf jedoch nicht die Botschaft oder Realität sein, mit der wir in die kommenden Wahlkämpfe gehen.

Erklärungsnot durch Milliardenbürgschaften?

Die Ausgangslage ist schwieriger denn je. Wie soll man erklären, dass in Zeiten der milliardenschweren Unternehmenshilfen und Bürgschaften, von denen die Menschen täglich in den Zeitungen lesen, nicht das Geld aufzubringen ist, um Sozialpolitik zu finanzieren, mehr LehrerInnen und ErzieherInnen einzustellen oder einfach nur konkurrenzfähige Löhne im Bildungsbereich zu zahlen? Wird eine Lohnerhöhung nach Auslaufen des Solidarpaktes im öffentlichen Dienst wirklich möglich sein? Und wird dies ohne Stellenabbau vonstatten gehen? Stehen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Ende doch wieder vor der Wahl, mit direktem oder indirektem Lohnverzicht Arbeitsplätze zu erhalten? Werden wir wirklich die vielen Änderungen im Bildungsbereich mit den nötigen Finanzen unterfüttern können?

Zum Beispiel Zukunft der Bezirke

Und: Kann das Land den Bezirken das Mehr an Geld zuweisen, dass sie dringend brauchen, um ihre (und die immer neu dazukommenden) Aufgaben weiter in dem gewohnten Umfang zu erfüllen und über die reinen Verwaltungsausgaben hinausgehend politisch handlungsfähig zu bleiben. Denn vermutlich brauchen sie die unlängst geforderten bis zu 140 Millionen, von denen ihnen Finanzsenator Nußbaum nun 82 Millionen zugestehen will.

Wer nicht auf der Mandatsebene unterwegs ist, aber in den verschiedenen Gremien der Partei genau hinhört, der registriert die an Schärfe gewinnenden Verteilungskämpfe zwischen den Akteuren Land und Bezirke, aber auch zwischen den Bezirken oder Ressorts untereinander.

Der von der SPD gewollte bezirkliche Wertausgleich ist sozialdemokratisch gesehen richtig und er spiegelt letztendlich nur das wider, was wir aus der bundesdeutschen Gesamtwirklichkeit als Verpflichtung zur Schaffung gleicher Lebensbedingungen in ganz Deutschland kennen. Daran halten Sozialdemokraten zu Recht fest, denn die Reichen dürfen gegenüber den Armen nicht aus der notwendigen Solidarität entlassen werden.

Aber, wenn wir den bezirklichen Wertausgleich ernst nehmen und ihm ein politisches Überleben ermöglichen wollen, dann müssen wir ihn mit Leben füllen, mit sozialdemokratischem Leben.

Politikkonzepte statt Verteilungskämpfe

Gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, dass eine Bibliothek geschlossen werden müsse, weil der Senat den Bezirken nicht genügend Geld gibt oder sich das Abgeordnetenhaus den Notwendigkeiten versperrt, ist spätestens dann schwierig, wenn der verweisende Bezirkspolitiker und der Kollege im Senat oder Abgeordnetenhaus der gleichen Partei, nämlich der SPD, angehören.

Verteilungskämpfe enden oftmals mit dem Sieg des Stärkeren über den Schwächeren. Da das nicht dem solidarischen Politikprinzip der SPD entspricht, müssen wir einen Weg finden, die drohenden Politikgefechte um das verbleibende Geld in ein koordiniertes, an den Interessen unserer Wählerinnen und Wähler orientiertes Miteinander zu führen.

Hier kann der SPD als Partei eine wichtige Rolle zukommen, die sie aber ergreifen und vor allem selbst wollen muss. In den Gremien der Partei, im Landesvorstand und in den Kreisvorständen, in den Abteilungen und auf den Kreisdelegiertenversammlungen sowie beim Landesparteitag sitzen Landes-, Bezirks- und Bundespolitiker gemeinsam an einem Tisch. Dazu kommen noch betroffene Bürgerinnen und Bürger, die sich in der SPD ehrenamtlich engagieren und die beherzt als sozialdemokratische Bürgerinnen und Bürger Stellung beziehen sollten.

Diese Chance der gemischten Parteigremien sollte genutzt werden. Und zwar nicht, indem sich Landes- und Bezirkspolitiker gegenseitig Vorwürfe machen und nur um das Beste für ihre jeweilige politische Ebene kämpfen, sondern indem in der Berliner SPD ein geschlossenes Politikkonzept entwickelt wird, das von den Akteuren in den Senat, das Abgeordnetenhaus und die Bezirksarbeit eingebracht wird.

Miteinander statt gegeneinander

Eine glaubhafte sozialdemokratische Politik im Land und in den Bezirken zu betreiben und mit sozialdemokratischen Konzepten Berlin und die Bezirke zukunftsfähig zu gestalten, bietet die Möglichkeit, auf unsere Wählerinnen und Wähler zuzugehen und sie zu mobilisieren.

Ziel ist es, einen sinnvollen Ausgleich zwischen den Politikebenen und Politikfeldern zu schaffen. Das Wenige, was es zukünftig zu verteilen gibt, muss effizient und einem sozialdemokratischen Plan für die Stadt folgend verteilt werden. Natürlich muss dieser Prozess ressortübergreifend erfolgen und die verschiedenen politischen Ebenen einbeziehen.

Um bei dem Beispiel Bezirke und Bibliotheken zu bleiben: Am Ende wird vermutlich auch die Schließung von Bibliotheken, Jugendheimen oder Musikschulen auf der bezirklichen Agenda stehen. Aber wir müssen als Sozialdemokraten gemeinsam politisch entscheiden, welche Versorgung wo dringender gebraucht wird oder wie man sich durch intelligente Lösungen über die Bezirke hinausgehend räumliche Nähen oder moderne Informationstechniken nutzbar machen kann.

Berlinweit denken und abgestimmt bis in die Kieze handeln gilt hier im Verhältnis Land-Bezirk. Und zwar für beide Partner. Denn das Land ist ohne die Bezirke nichts und die Bezirke sind ohne das Land nichts. Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, in einem Bezirk und einer Stadt zu leben, wo den anstehenden Problemen ein aufeinander abgestimmter Plan entgegengesetzt wird, der das Leben nicht nur in Charlottenburg-Wilmersdorf, sondern in Berlin lebenswert macht, kann Politik sie überzeugen.

Und wenn wir die Wählerinnen und Wähler im Bezirk, im Land und in nur wenigen Monaten im Bund gewinnen wollen, dann können wir dies nur durch eine glaubhafte Politik, die sich frühzeitig den anstehenden Problemen stellt und ihnen mit einem sozialdemokratischen Gesamtplan begegnet.

Praktisch bedeutet das: Kommunal- und Landespolitiker, Bundestagsabgeordnete und „einfache“ Sozialdemokraten müssen sich zusammensetzen, ihre Probleme auf den Tisch legen und Strukturen finden, in denen sie sich darüber im Klaren werden, mit welchen sozialdemokratischen Politikansätzen der (Finanz)Krise in Berlin und in den Bezirken begegnet werden kann. Das gilt es auf den verschiedenen Parteiebenen aufeinander abgestimmt zu organisieren, damit aus der Partei heraus ein Think Tank entsteht.

Am Ende des Prozesses steht ein zukunftsfähiger Masterplan, mit dem wir Berlin mit sozialdemokratischer Politik fit für die Krise machen. Ein umfassender politischer Ansatz ermöglicht es so der Politik in Zeiten der knappen Kassen gemeinsam mit dem zuständigen Finanzsenator die Stadt sozialdemokratisch zu regieren und nicht, wie es früher oft der Fall war, gegen ihn.

Abschließend müssen wir den Menschen gemeinsam erklären, warum wir welche Entscheidung treffen müssen und in welchem Gesamtplan sie für ein zukunftsfähiges, soziales und solidarisches Berlin stehen. Sie werden das honorieren und uns bei den anstehenden Wahlen wieder vermehrt ihre Stimme geben. Das wäre einige Anstrengung wert.

Robert Drewnicki
Abteilungsvorsitzender SPD Neu-Westend